Vadyanshuf – Das Tal der Eule

Wenn ich unsere Zeit auf der vierten Farm mit fünf Worten umschreiben müsste, dann wären das: Grün, Sprossen, Unkrautjäten, Witze und Arak.

Im Tal der Eule stehen an die zweihundert Olivenbäume, mehrere Obst- und Mandelbäume, ein großer Hühnerstall, ein Pferd, zwei Esel, ein Verkaufswagen, fünf Bienenstöcke, Lavendel- und Brombeerhecken sowie mehrere große und kleine Gebäude. Der Biohof von Dani und Tal liegt etwa zehn Kilometer von Rosh Pina entfernt, einer Stadt im Oberen Galiläa, und heißt Vadyanshuf. Während im Sommer die Bäume bewässert werden müssen, genügte der diesjährige Winterregen aus, um alles in sattem Grün erstrahlen zu lassen. Die Wiesenblumen blühten und die Bäume begannen auszutreiben. Im Sommer sieht es dort wohl trotz Bewässerung deutlich trockener aus. Am Ende der zweieinhalb Wochen, die wir in Vadyanshuf verbringen durften, blühte die gesamte Farm – ein Farbspektakel – und zugleich ließ es uns erahnen, wie reich die Farm im Sommer mit Obst gesegnet sein dürfte. Vadyanshuf war während unserer Zeit dort ein wahres Frühlingstal.

Mandelbaum in voller Blüte

Zu den Produkten der Farm zählten u.a. eingelegte Oliven sowie Olivenöl aus unterschiedlichen Olivensorten, Honig, Marmeladen, Za‘atar und Sprossen. Za‘atar ist eine typische Gewürzmischung der arabischen Küche und besteht überwiegend aus einer wilden Thymianart mit dem Namen Za‘atar. Kleiner Randinfo: Gerichte werden hier nach ihrer Hauptzutat benannt, wie bei ebenjenem Za’atar oder bei Hummus („Kichererbse“). Zum wilden Thymian dazu gemischt werden z.B. Salz und gerösteter Sesam, aber auch hier scheint wie beim Hummus jede Familie ihr eigenes Geheimrezept zu haben. Geschmacklich erinnert Za‘atar an Oregano und passt hervorragend zu Pizza, Nudeln oder Labaneh, einer frischkäseähnlichen, leicht säuerlichen Milchspezialität. Kürzlich hatten die Farmbesitzer eine Konzession erhalten, sodass sie Anfang März mit dem Verkauf ihrer Produkte vor Ort beginnen wollen. Bisher fuhren sie mit einem Verkaufsanhänger zu Märkten, Festivals oder Geschäften, um dort die Lebensmittel sowie kleine Gerichte zu verkaufen.

Eingelegte Oliven – eines der Produkte der Farm Vadyanshuf

Am ertragreichsten ist für die Farm derzeit der Verkauf von Sprossen, und damit wären wir beim zweiten Begriff, den ich mit Vadyanshuf verbinde. Die Samen und Kerne von z.B. Sonnenblumen, Kresse, Mungobohnen, Linsen, Radieschen oder Brokkoli, werden von einem Biohof in Italien bezogen und vor Ort innerhalb weniger Tage in hohen Regalen unter automatisierter Bewässerung und Belichtung zum Keimen gebracht. Sonntags und montags werden die Keimlinge bzw. Sprossen „geerntet“, gewaschen und in kompostierbare, durchsichtige Tüten aus Maisstärke verpackt. Montags und dienstags erfolgt dann der Transport zu den Verkaufsstellen, sogar bis ins 160 km entfernte Tel Aviv. Beim Ernten, Waschen und Verpacken der Sprossen haben Krischan und ich sonntags und montags zu je sechs Stunden fleißig unterstützt. An den anderen Tagen haben wir im Food Forest um die Jungbäume herum Unkraut entfernt und den Schnitt gesammelt. In der zweiten Woche haben wir einen Maschendrahtzaun von dichtem Unkraut befreit und den dort vor ein paar Jahren gepflanzten Brombeeren gleichzeitig Luft und Licht verschafft. Als das erledigt war, machten wir uns über wunderschön zwischen zahlreichen Feigenbäumen angelegte Lavendelhecken her und befreiten auch sie von Unkraut. Die Arbeit hat Spaß gemacht, konnten wir doch am Ende des Tages das Ergebnis sehen. Zudem schien während des Großteils unserer Zeit dort die Sonne und es wurde tagsüber so  warm, dass wir in T-Shirts arbeiteten und Sonnencreme brauchten.

Selbstgezogenen Sprossenmix gab es regelmäßig zum Essen dazu

Wir hatten, da wir das Auto von Tals Sohn Shem nutzen durften, vielseitige Freizeitmöglichkeiten. An unserem ersten freien Samstag fuhren wir Richtung Norden in die Golanhöhen, um eine der Schluchten, die der Fluss Banias über die Jahrtausende in die Landschaft gezogen hatte, zu besichtigen. Krischan war bei seiner Studienreise in der 12. Klasse am Banias gewesen und wünschte sich, die Gegend erneut zu erkunden. Bei Naturerkundungen bin ich natürlich immer sofort dabei! Wir entschieden uns aus Kosten- und Menschenmengengründen gegen den Besuch des Banias Nationalparks und suchten uns stattdessen bei Google Maps eine andere, scheinbar gut zugängliche Stelle des Flusses heraus. Wir parkten in Snir, einem Ort in der Nähe des Kibbutz Dan, und folgten einem Pfad in Richtung Banias. Die Schlucht, die sich uns darbot, war beeindruckend. Auf der anderen Seite des Tales sahen wir den Fluss Nahal, der sich über eine Kante etwa 50 m in die Tiefe stürzte. Zugänglich war dieser Wasserfall ohne Weiteres leider nicht, weshalb wir uns darauf konzentrierten die örtliche Sehenswürdigkeit, einen Panzer, zu finden. Einige Höhenmeter die Schlucht hinab trafen wir schließlich auf einen rauschenden, klaren Banias. Das Wasser hat sich über die Jahre hinweg durch Basalt gefressen und entsprechend steil und unzugänglich erschien die Schlucht zur anderen Seite. Nach einer Weile fanden wir auch den Panzer, der auf dem Kopf halb im Fluss liegend offenbar ein bei der Bevölkerung beliebtes Freizeitziel darstellt. Da Shabbat war, picknickte eine etwa 12-köpfige Familie auf der Unterseite des syrischen Panzers, der aus dem Sechs-Tage-Krieg im Jahre 1967 stammt. Der Sechs-Tage-Krieg stellt einen der bedeutendsten Höhepunkte des bis heute andauernden israelisch-arabischen Konfliktes dar. Nach einem Angriff Israels auf Luftstützpunkte Ägyptens, Jordaniens und Syriens nahm Israel in anschließenden Bodenangriffen den Gaza-Streifen (vormals Ägypten), die Golanhöhen (Syrien), Ost-Jerusalem sowie das Westjordanland (Jordanien) ein. Damals wurde der Grundstein für die noch heute andauernden Konflikte gelegt.

Syrischer Panzer aus dem Sechstagekrieg, am Ufer des Banias in der Nähe des Kibbutz Snir

Weitere Shabbat- und Feierabendausflüge führten uns in das Hula-Tal, das aufgrund großer Wasserflächen eine beliebte Zwischenstation für Zugvögel auf der Nord-Süd-Route darstellt. Wir konnten dort aus der Nähe und in der Ferne unterschiedlichste Tiere beobachten, wie z.B. Nutrias, Schildkröten, Katzenfische, Kraniche und zahlreiche Entenarten.

Ein ausgewachsenes Nutria mit Babies – Funfact: Nutrias haben ihre Zitzen auf dem Rücken, damit die Kleinen auch im Wasser schwimmend gesäugt werden können

An einem Nachmittag fuhren wir nach Safed, der höchstgelegenen Stadt Israels, die bekannt ist für ihre schöne Altstadt mit Pflastersteinstraßen und blau bemalten Fenstern und Türen sowie vielen Kunstgallerien. Leider war uns das Wetter, wie so oft bei unseren Städtetrips, nicht gut gesonnen – im wahrsten Sinne des Wortes – und es regnete in Strömen als wir ankamen, was die Temperaturen deutlich fallen ließ. Die Höhenlage des Ortes trug das Seine dazu bei. Unsere Erkundung konnten wir zwar trockenen Hauptes, aber nicht trockenen Fußes durchführen. Aber wir ließen uns die Laune nicht verderben, schauten uns die Altstadt an, genossen eine jemenitische Spezialität, die viel Käse enthielt, probierten eine Pizza, die am Ende erst mit salziger Gewürzmischung ihr „Potenzial“ entfalten konnte. Witzigerweise trafen wir zufällig Pessach in den Straßen Safeds, der mit uns auf der Ziegenfarm als Freiwilliger gearbeitet hatte. Er war nach wie vor auf der Ziegenfarm und er sagte, es sei nach wie vor harte und endlos viel Arbeit, aber er schien sich damit zu arrangieren.

Blick in eine der zahlreichen Gallerien Safeds
Die verwinkelten Straßen Safeds waren schön, aber abseits der einen touristischen Pflasterstraße hat die Stadt eher Ruinen und heruntergekommene Häuser zu bieten

An einem Sonntagabend nahm Shem, ehemals Musiker in den Straßen Tel Avivs, uns mit in eine Bar im Kibbutz Amir, wo er an einer Jam-Session teilnahm. Das war ein wunderbar interessanter und musikalischer Abend. Die Musiker auf der Bühne rotierten unerlässlich, sodass die Zusammensetzung und entsprechend der Stil etwa alle halbe Stunde wechselten – es wurde nicht langweilig. Das Klientel der Bar war zu 95 % der alternativen Szene zuzuordnen, denn Dreadlocks und Batikshirts waren dominant ebenso wie Joints, wobei letztere in Israel zum Feierabendritual zu gehören scheinen. Der süßliche Qualm zieht am Wochenende durch alle Straßen Tel Avivs und Haifas und wurde bisher in allen Farmen, die wir besuchten, wenn auch nicht übermäßig, konsumiert. Als Gründe werden oftmals die allzeit angespannte Lage Israels, mal der verpflichtende Militärdienst, die unklare Situation mit der Regierung oder all die anderen Kräfte, die rechts und links an Israel zerren, angeführt: die Gründe derer allerlei, man könnte meinen, es seien Ausreden. Aber belassen wir es dabei.

Mehr Israel in einem Bild geht fast gar nicht: Israelische Fahne hinter einem Olivenbaum

Damit wären wir aber auch beim vierten Begriff, den Witzen. Shem reißt Witze am laufenden Band, so auch auf der Rückfahrt von der Bar, als ich mich zu Beginn des Abends hatte breit schlagen lassen, später am Abend zurück zur Farm zu fahren. Dreißig Minuten ein angeheiterter Shem auf dem Beifahrersitz und ich kann endlich (liebe Grüße an Sani an dieser Stelle 😉) eine ganze Bandbreite an unangebrachten rassistischen und sexistischen Witzen erzählen (bis ich wieder in Deutschland bin, habe ich sie sicher alle wieder vergessen). Shems Art und Weise hat definitiv unseren Aufenthalt auf der Farm geprägt. Er hat uns auch das erste Mal mit Arak in Berührung gebracht, als wir abends mit Gitarre und zahlreichen Diskussions- und Gesprächsthemen im Gepäck vor einem Lagerfeuer vor unserem Wohncontainer saßen. Arak ist ein Anisschnaps, der sich geschmacklich und umdrehungstechnisch nicht von Ouzo oder Raki unterscheidet. Für Lakritzliebhaber wie uns also durchaus annehmbar.

Blick von der Terrasse unseres Wohncontainers in den Garten mit Outdoor-Duschwanne und Feuerstelle

Die etwas mehr als zwei Wochen bei Tal und Dani waren eine unvergessliche Zeit und ich hoffe, dass wir vor unserer geplanten Abreise Ende Juni noch einmal herkommen können.

Bei einer unserer Erkundungstouren um die Farm herum entdeckten wir ein wunderschönes Tal mit Eukalyptusbäumen, sahen Füchse und Wildschweine und verliefen uns gnadenlos

Für weitere Infos zur Farm: www.vadyanshuf.co.il

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