Akko oder Acre oder עכו

Die Stadt hat bestimmt genau so viele Namen, wie sie Geschichten hat. Im deutschen als „Akko“ bekannt, im englischen als „Acre“, im hebräischen als עכו oder aber sonst auch „Acho“ oder „St. Jean d’Acre“ oder im historischen als „Ptolmais“, blickt diese Stadt auf eine lange und nicht immer friedliche Zeit zurück. Ich werde mich im weiteren Text der deutschen Bezeichnung „Akko“ bedienen. Auf Wikipedia kann man nachlesen, dass erste Siedlungsspuren in das dritte Jahrtausend vor Christi datiert werden, aber keine Angst, eine ausufernde Geschichtsstunde werde ich nicht starten. Vielmehr gibt es ein paar Erlebnisse aus der Stadt – und Bilder.

Aus unserem Zimmer haben wir recht direkt auf eine Wand geschaut. Aber auch kein Wunder, da unsere Unterkunft wunderbar in der Altstadt gelegen war und so Teil des engen Gassen-Wirrwarrs war.

Wir hatten uns ein verregnetes Wochenende im Januar ausgesucht, um die Stadt zu besuchen. Das eh schon leicht triste Stadtbild wurde durch das Wetter nur noch unterstrichen und zeigte sich von einer eher unschönen Seite. Davon hebt sich die Altstadt in den Festungsmauern deutlich ab – hier ist es hell und angenehm. Wir hatten auch ein wenig Glück bei unserem Wochenendbesuch: zwar ist die Stadt grundsätzlich zu 70 % jüdisch, was bedeutet, dass in der gesamten Stadt in der Shabbat-Zeit von Freitag 15:00 bis Samstag 17:00 Uhr wirklich nichts offen hat und auch keine Busse fahren. Allerdings ist die Altstadt zu 95 % arabisch besiedelt und so waren am Wochenende die Märkte und Cafés doch auch geöffnet. Und neben all den kulturell und historisch bestimmt bedeutenden Dinge haben wir dann auch endlich unsere ersten Falafel gegessen. Sogar zweimal. Und es war toll! Den legendären Hummus Laden von Said konnten wir leider nicht besuchen, weil ausgerechnet der natürlich Shabbatruhe gehalten hat. In Akko haben wir zudem das erste Mal arabischen Kaffee, auch bekannt als Mokka, getrunken. Damit haben wir dann auch einen neuen Favoriten in unserer Kaffeespezialitätenliste auf den oberen Plätzen. Lecker, süß und würzig, lässt er sich auch hervorragend nachbrauen: denn für Mokka braucht man nicht viel mehr als einen Topf, Kaffeepulver, Kardamompulver und Zucker.

Nach dem wir wussten, wie man Mokka selber kocht, haben wir das sehr genossen. Die Quintessenz war: kein Mokka nach 16.00 Uhr, wenn wir nachts schlafen wollten.

Akko war besonders in der neueren Zeit immer wieder Dreh- und Angelpunkt gewaltsamer Auseinandersetzungen: die Stadt war Ausgangspunkt dreier Kreuzzüge (um 1100 n. Chr.) und wurde entsprechend stark befestigt – sowohl see- als auch landseitig. Darüber hinaus hat Napoleon Ende des 18. Jahrhunderts vergeblich versucht die Stadt einzunehmen („Wer Akko erobert, erobert die Welt“ soll er beim Rückzug gebrüllt haben). Zuguterletzt ging die Stadt als Hochburg des Widerstands gegen die britische Besatzung bis 1948 in die Geschichtsbücher ein: es war die letzte Festung der Briten und nach der Befreiung mehrerer jüdischer, gefangener Kämpfer aus eben dieser Festung war auch die Vormachtstellung der Britten im frisch deklarierten Israel gebrochen.

Die Befestigungsanlage ist eine der beeindruckendsten, die ich jeh gesehen habe…

Für uns, die wir die Geschichte in Museen bestaunt haben, hielt der Trip einige lehrreiche Lektionen über die Möglichkeiten, wie man ein modernes Museum gestalten kann, bereit.
Wir haben als erstes die Crusader Citadel besucht, die hochmodern die Geschichte der Stadt und der Zitadelle präsentiert. Die Anlage sieht von außen schon beeindruckend aus, ist aber im Inneren durch die verschiedenen Höhenstufen noch weitaus weitläufiger als man es erahnen kann.

Einer der Innenhöfe der Zitadelle gibt einen guten Eindruck, wie groß die Anlage ist. Zu sehen ist die Außenmauer des Rittersaals, in dem die Kreuzritter gegessen haben.

Nicht nur, dass das überirdische Gelände der Altstadt Akkos schon groß war. Es gibt darüber hinaus auch Tunnel, die von den Tempelrittern angelegt wurden. Sie wurden zum Teil zufällig wiederentdeckt und für Touristen zugänglich gemacht. Die Tunnel verbinden vermutlich die Zitadelle mit dem Hafen. Nur für den Fall, man muss mit wichtigen Dingen schnell ein Schiff erreichen. Ein Schelm, wer da an einen Schatz denkt. Tatsächlich wurden die Templer von der französischen Obrigkeit wegen Ketzerei angeklagt. Ein Schelm, wer dabei… Ihr wisst schon. Auch von der Gestaltung dieser „Ausstellung“ mittels eines handybasierten System in den Tunneln selber war ich ähnlich begeistert wie von der Ausstellung in der Zitadelle der Templer.

Die Tunnel der Templer sind in einem Abschnitt für die Öffentlichkeit zugänglich. Nur damit kein falscher Eindruck entsteht: man kann in dem Gang nicht stehen, sondern muss sehr gebückt laufen.

Unsere Unterkunft lag mitten in der Altstadt und so waren wir in Nullkommanix sowohl auf dem Bazar als auch an der Hafenanlage, konnten uns vortrefflich in den kleinen, engen und verwinkelten Straßen verlaufen und hatten es nicht weit zu den Sehenswürdigkeiten der Stadt. Auf der Dachterrasse konnte man einen herrlichen Blick sowohl über das Meer als auch über die Stadt schweifen lassen. Interessanterweise hatten wir auch ein eigenes Badezimmer, einmal über den Flur.

Eng und verwinkelte ziehen sich die Gassen zwischen den Häusern durch. Bei Sonnenschein dürfte der helle und grobe Stein ein tolles Licht werfen, bei unserem Besuch war er eher trist und nass.

Die Stadt war ein tolles Highlight, besonders wegen der sehr geballten Historie. Auch wenn wir mehr als einmal nasse Füße bekommen haben und der Hunger bei der Suche nach einem Essen manchmal die gute Laune ausgeblendet hat, kann ich es rückblickend empfehlen, Akko zu besuchen.

„Die erste Farm“ oder „Eine Reise ins Unbekannte“

Bei der Planung unserer Anreise von Tel Aviv zu unserer ersten Farm fiel uns die Lage des Ortes sofort ins Auge: auf Google Maps liegt Sha’arei Tikva hinter der Grünen Linie und somit im offiziell als Westjordanland bezeichneten palästinensischen Gebiet. Da unsere Gastgeber hebräische Namen hatten, war uns nicht ganz klar, auf was wir uns dort einlassen würden: sind unsere Gastgeber sogenannte „Siedler“? Also Israelis, die illegal aber unter staatlicher Duldung palästinensisches Land bebauen und bewirtschaften? Wie würde es sich für uns anfühlen in einer Siedlung zu leben, in der möglicherweise die Überzeugung herrscht, dass das gesamte Gebiet vom Jordan bis zum Mittelmeer den jüdischen Israelis, und nicht etwa den dort möglicherweise zuvor ansässigen arabischen Palästinensern gehört?

An dieser Stelle ist vielleicht bereits zu erahnen, dass der israelisch-palästinensische Konflikt hier vor Ort plötzlich nichts Abstraktes mehr ist. Er ist real und allgegenwärtig. Eine Reise nach Israel kann man nicht unternehmen und weiterhin so tun, als „hätte man mit Politik eigentlich nichts am Hut“. Mit einem Mal sind Themen an der Tagesordnung, die ich in Deutschland meist weit von mir weg schieben konnte, zugehörigen Ausreden derer gab es viele: von zu viel Arbeit im Alltag, keine Zeit die Nachrichten zu verfolgen, „Betrifft mich ja nicht direkt.“ bis hin zu „Es gibt im Moment Wichtigeres.“. Abgesehen davon, dass dieser über Jahrzehnte andauernde Konflikt inzwischen so viele neue Facetten und Verwicklungen hinzugewonnen hat, was es schwierig macht, in den Kategorien falsch oder richtig zu denken.

2014 errichteter Grenzzaun zwischen israelischem Staatsgebiet und palästinensischem Autonomiegebiet

Wo sind wir hier?

Trotz der Unklarheiten entschieden wir uns dafür, nach Sha’arei Tikva zu fahren. Mit dem Bus passierten wir keinen Checkpoint, obwohl die Grenzlinie auf Google Maps solches hatte vermuten lassen. Aber uns stach eines sofort ins Auge: entlang der Autobahn schlängelte sich ein 100 bis 200 Meter breiter Grenzstreifen, der mehrfach durch unüberwindbar hohen Stacheldraht abgesichert war. Wo sind wir hier?, fragten wir uns. Unsere Gastgeber würden uns aufklären, aber dazu später mehr.

Unsere Gastgeber empfingen uns herzlich, ebenso wie zwei andere Freiwillige, die am Vortag angereist waren. Der erste Eindruck, da sind wir ganz ehrlich, war gemischt. Für die Freiwilligen gibt es im Keller des Hauses ein gemeinsames Zimmer mit zwei Einzel- und einem französischen Bett, dazu einen Gemeinschaftsraum mit Küche und ein Badezimmer. Der „Schlafsaal“ hat keine Fenster, während alle anderen Räume liegen zur Nordseite und bekommen somit zumindest etwas Tageslicht ab. Die Räume wirkten im ersten Moment kahl und etwas lieblos, zudem gab es keine Heizung und die erste Nacht froren wir wie Schlosshunde (ich war froh, meine eigene Heizung namens „Krischan“ mitgebracht zu haben 😉). Zum Kochen gibt es einen Gasherd, aber lediglich einen kleinen Topf, dazu einen Wasserkocher und einen Mini-Backofen. Die ersten Tage teilten wir uns die Räumlichkeiten mit den zwei anderen Freiwilligen, zwei junge Abiturienten aus Deutschland. Wir gingen abends nach der Arbeit zusammen im örtlichen Supermarkt einkaufen und kochten zusammen – die zwei waren nett, aber wirklich warm wurden wir nicht miteinander, was sicherlich auch den Gesamtumständen geschuldet war. Nach fünf Tagen reisten die zwei aber sowieso weiter zu ihrer nächsten Station, was für uns einen deutlichen Gewinn an Privatsphäre und eine Akklimatisation in unserem Tempo erlaubte. Auf neue Lebensumstände kann man sich gedanklich zwar ein bisschen vorbereiten, aber wenn man drinsteckt, ist es eben doch nochmal was anderes.

Das Haus liegt an einem Hang, oben gibt es einen zwischen hohen Palmen, Mandarinenbäumen und anderen Büschen und Bäumen versteckten, ebenerdigen Eingang zur Wohnung unserer Gastgeber. Links vom Haus führt eine Treppe nach unten zum ebenerdigen Eingang zur zweiten Wohnung, in der sich neben den Räumlichkeiten für die Freiwilligen ein Gästezimmer und ein Behandlungsraum für Gemmas Heiltherapien befinden. Wenn wir aus unserer Wohnung treten, befinden wir direkt im Garten. Hier stehen wunderschöne Zitronen-, Pomelo-, Feigen-, Oliven- und Granatapfelbäume, es gibt eine Hängematte und einen Pool, der zurzeit allerdings viel zu kalt ist, um ihn zu benutzen. Darüber hinaus haben sich unsere Gastgeber vergangenes Jahr einen Hühnerstall gebaut und halten sich eine Handvoll Hühner, die vermutlich ab März, entsprechend ihres natürlichen Zyklus, wieder Eier legen werden. Hinter dem Haus liegen etwa 300 Meter öffentliches Land, das an dem dem Haus gegenüberliegenden Ende durch den – da ist er wieder – Grenzstreifen vom dahinterliegenden palästinensischen Gebiet getrennt ist. Wo sind wir hier eigentlich? Unsere Gastgeber klären uns über Sha’arei Tikva auf: es handelt sich um eine bereits mehrere Jahre alte, illegale Siedlung auf palästinensischem Gebiet, die im Zuge des Grenzzaunbaus Netanyahus de facto in israelisches Staatsgebiet einverleibt wurde. Unsere Gastgeber haben sich vor etwa zwei Jahren dazu entschieden, das Haus mitsamt des zugehörigen Gartens zu mieten und die außergewöhnliche Lage der Farm zu nutzen, um langsam, aber stetig Kontakt zu Familien und Anwohnern auf der anderen Seite des Zauns aufzubauen und gemeinsam einen Food Forest „über den Zaun hinweg“ aufzubauen – mit dem Ziel durch unmittelbaren Kontakt ein Zeichen des Friedens und ein Netzwerk des Austauschs aufzubauen. Ein Frieden zwischen Israelis und Palästinensern, so sagten sie selbst, erscheint ihnen nur möglich, wenn die Menschen Beziehungen zueinander aufbauen und im Kleinen nach und nach jahrzehntealte Vorurteile abbauen können. Zu einem solchen Vorhaben, so habe ich hier inzwischen gelernt, gehören eine große Portion Mut, Ausdauer und vor allem aber Offenheit und ein großes Herz.

Das öffentliche Land zwischen dem Haus und dem Grenzzaun steht voll mit Olivenbäumen. Die Bäume gehören palästinensischen Familien, die vom israelischen Staat eine Sondergenehmigung bekommen, um nach Israel einreisen zu dürfen, um die Oliven zu ernten. Somit ist die israelische Regierung den Palästinensern zumindest dahingehend entgegengekommen.

Tierische Hofbewohner: Katzen und Hühner

Unser Arbeits“alltag“

Von einem Alltag können wir hier eigentlich nicht so recht sprechen. Das Einzige, das jeden Tag gleich ist, ist dass wir unsere Arbeit um 7.30 Uhr beginnen. Meist starteten wir mit Instandhaltung und einer kurzen Besprechung des Tagesablaufs (so manches Mal ergänzt um eine halbstündige Meditation, geleitet durch einen der beiden). Bei der Instandhaltung fegen wir die Bereiche um das Haus und den Pool herum und befreien alles von heruntergefallenen Blättern und Früchten (die Oliven und Granatäpfel waren vor einigen Wochen erntereif, derer aber auch äußerst zahlreich vertreten, sodass unsere Gastgeber gar nicht mehr wussten, wohin damit) und bringen in die ein oder andere Ecke etwas mehr Ordnung, wobei wir hier selbst entscheiden können, worauf wir unseren Fokus legen. An einem Tag haben wir beispielsweise große Steinplatten im Garten von Erde und altem Laub befreit und damit deutlich mehr begehbaren Weg geschaffen.

Sonntags, dienstags und donnerstags machen wir gemeinsam mit unseren Gastgebern von etwa 8.30 bis 10.00 Uhr Yoga, was eine wunderschöne morgendliche Routine darstellt – insbesondere nachdem man schon für etwa 45 Minuten draußen gearbeitet hat. In Deutschland hatte ich mir immer vorgenommen, eine kurze Yogasequenz in meine „Morgenroutine“, wie es auf Insta-Deutsch so gerne genannt wird, einzubauen, bin aber kläglich an meinem inneren Schweinehund gescheitert und regelmäßig viel zu spät zu Bett gegangen. Abgesehen davon, dass ich mich morgens noch vollkommen unbeweglich und steif und überhaupt nicht wie ein Yogi fühle. Nach der ersten Woche kamen dann noch montags und mittwochs, wenn auch unregelmäßig, Zumba-Stunden von Krischan hinzu – herrlich! Gute-Laune-Musik, Tanzen und fröhliche Menschen, denn Zumba macht gute Laune, am Morgen würde ich wirklich gerne in meinen Alltag einbauen!

Anschließend beginnen wir wieder mit der Arbeit. Da für den Gemüseanbau Beete angelegt werden, haben wir in den ersten Tagen Erde abgebaut, von größeren Steinen befreit und in ein mit einer niedrigen Steinmauer umrissenes Beet geschafft. Später holten wir den Großteil der Erde für das Beet aus einer gut begehbaren Höhle, deren Boden sowieso ein paar Zentimeter tiefer gelegt werden sollte. In der zweiten Woche machten wir uns daran, den Hühnerstall mit einem Regenschutz zu versehen, gründlich auszumisten, mit Draht gegen grabende Eindringlinge zu verstärken und die Innenausstattung vielfältiger zu gestalten. Jetzt schlafen die Hühner im Trockenen und auf einer Stange – und natürlich schlafen alle eng gedrängt auf einer einzigen Stange, obwohl mehrere zur Verfügung stünden – und Eindringlinge haben keine Chance mehr. Auf das Ergebnis der Arbeit waren wir äußerst stolz und es hat uns ein paar Überstunden eingebracht, die wir später abfeiern durften.

Hühnerstall vor dem Umbau

Die dritte und größte Aufgabe besteht im Vergrößern der oben erwähnten Höhle. Sie liegt direkt unterhalb des Grundstücks auf dem öffentlichen Gelände, wird von unseren Gastgebern aber für Meditationen, Sitzkreise, Workshops und vieles mehr genutzt. Als wir ankamen, konnte man gerade so in der Mitte der Höhle stehen. Inzwischen haben wir teilweise bis zu 80 Zentimeter an Höhe gewonnen und dafür Unmengen an Steinen und Eimern an Erde herausgetragen. Bis zu unserer Abreise wollen wir eine neue Steintreppe gebaut und alles eingeebnet haben, sodass unsere Gastgeber die Höhle wieder für ihre Workshops anbieten können. Es ist schwere körperliche Arbeit, die Krischan und ich zum Großteil alleine bewältigt haben, aber äußerst genießen. In unserer dritten Woche hier hat es fast durchgängig stark geregnet, sodass wir in unsere Wohnung verbannt waren. Wir nutzten die Zeit für Recherchen über Organisationen für mögliche Kooperationen und Unterstützung für die Vorhaben unserer Gastgeber und bastelten Kinderspielzeug und Dekoration für die Kindertagesstätte, die hier aufgebaut werden soll. Aber uns fiel die Decke alsbald auf den Kopf, wollten wir doch gerade weg von der Arbeit im Sitzen am PC in Innenräumen. Umso mehr haben wir uns über Regenpausen gefreut, in denen wir uns trotz tropfender Höhlendecke mit Hacke und Schaufel austoben konnten. Seit einigen Tagen ist das Wetter wieder sonnig und trocken, sodass wir tagsüber im T-Shirt arbeiten können und die Gesichter langsam Farbe bekommen. Unser Gastgeber bezeichnete uns schon als lizards, zu Deutsch Echsen, da wir JEDE Möglichkeit nutzen, um Sonne zu tanken: Frühstück in der Sonne. Mittagessen in der Sonne. Kaffee- oder Teepause: ab in die Sonne! Wie habe ich das vermisst! Es tut mir wirklich leid, das an dieser Stelle sagen zu müssen, aber ein derart sonnenarmer Ort wie Clausthal wird mich so schnell nicht wiedersehen!

Neben der körperlichen Arbeit konnten wir beide unser Hobby, die Fotografie, zum Einsatz bringen. Wir hatten im Vorfeld überlegt, welche Fertigkeiten wir unseren jeweiligen Gastgebern anbieten könnten, denn handwerklich bringen wir vielleicht Geschick, aber keine gelernte Fertigkeit mit. Somit boten wir den beiden an, Fotos von der Farm zu machen, damit sie diese für ihre Webseiten und Facebook-Pages verwenden können. Schließlich machten wir an zwei Tagen ausführliche Fotoshootings mit den beiden und einer ihrer Freundinnen. Wir hatten dabei alle sehr viel Spaß und sind mit den Fotos zufrieden.

Hobbyfotograf beim Werk, hier: in Akko

Die Ernährungsumstellung

Seit wir hier sind ernähren wir uns fast ausschließlich vegan. Zu Beginn mehr aus Notwendigkeit heraus, inzwischen aber haben wir die pflanzenbasierte Ernährung sehr zu schätzen gelernt! Einerseits sind verarbeitete Lebensmittel äußerst teuer in Israel und zum anderen hatten wir in den ersten zwei Wochen hier auf dieser Farm keinen Kühlschrank, sodass wir uns im Supermarkt lediglich Pitabrot, Linsen, Reis, Gemüse und Tee kauften sowie Tahin (Sesampaste) und Hummus, damit das Essen nicht zu trocken ausfällt, abgesehen davon, dass Hummus und Tahin traumhaft schmecken! Wir sind inzwischen reich an selbst kreierten, kreativen, leckeren und gemüsereichen Gerichten. Auch unsere Gastgeber ernähren sich vegetarisch und kochen für uns äußerst Abwechslungsreiches zum Frühstück und zum Mittagessen. Bei unseren Ausflügen nach Tel Aviv und Akko hätten wir immer die Möglichkeit gehabt, auch Fleisch zu konsumieren, aber die fleischlosen Alternativen sprechen uns einfach mehr an! Aus dem Garten beziehen wir Zitronen, Pomelos und Zitronengras.

Und wir so?

Die Frage, wie es uns mit unserer Entscheidung nach Israel zu gehen geht, kam nun schon öfter. Kurz beantwortet: ja, es ist eine Umstellung. Etwas ausführlicher gesagt: es ist eine größere Umstellung, als wir erwartet hatten. Die gewohnte Umgebung, aber auch die gewohnten Tätigkeiten und Freizeitbeschäftigungen sind weggefallen und wollen hier hinterfragt und eventuell ersetzt werden. Unwiederbringlich tun sich da die Fragen auf, wer wir eigentlich sind, was uns ausmacht und was uns wichtig ist. Darüber hinaus führt bei mir der Wegfall der alten Gewohnheiten zu Unsicherheit und innerer Unruhe – und das sage ich, die schon mehrfach für mehrere Monate im Ausland war, häufig umgezogen ist und sich immer wieder (gerne) ins kalte Wasser geworfen hat. Irgendwie war da in den vergangenen sechs Jahren in Clausthal wohl doch mehr Routine in mein Leben eingekehrt, als mir bewusst war. Und umso wohltuender sind die Veränderungen und damit einhergehenden Lernkurven. Nun ist fast ein Monat vergangen, seit wir in Tel Aviv gelandet sind. Wir sind uns selbst und unseren Bedürfnissen ein gutes Stück nähergekommen, durften viel über uns lernen und können ein vielseitigeres „Wir“ aufbauen. Unsere Gastgeber sind uns hier sicherlich auch eine Hilfe, denn die zwei sind äußerst selbstreflektierte, umsichtige und aufgeschlossene Gesprächspartner.

Leider brechen wir hier in wenigen Tagen unsere Zelte ab und machen uns auf zu einer anderen Farm weiter im Norden Israels, freuen uns aber, in unseren Gastgebern gute Freunde gefunden zu haben. Hoffentlich kommen wir bald zurück!

Die Namen unserer Gastgeber veröffentlichen wir aus privaten Gründen an dieser Stelle nicht.

Die ersten Tage in Israel

Jetzt sind wir da. Mit Franzi habe ich ein paar Tage in Tel Aviv verbracht. Wir wollten uns akklimatisieren und uns ein wenig mit Israel vertraut machen. Dadurch war auf jeden Fall genug Zeit, festzustellen, dass es echt eine sehr große Umstellung ist – wirklich nichts lesen und verstehen zu können. Wir haben fünf total interessante Tage in Tel Aviv verbracht und dort die Stadt und den Strand angesehen, sind durch marode Straßen flaniert und haben Graffitis an den Wänden bewundert.

Bild der Hafenregion von Tel Aviv-Jaffa, Stadtteil Jaffa
Im Stadtteil Jaffa, der eigentlichen Altstadt von Tel Aviv-Jaffa, gehen die historischen MAuern bis direkt ans Wasser.

Tel Aviv ist die Wucht – es ist laut, es ist immer laut und anscheinend wird auch immer gebaut. Was ich in der ersten Nacht noch als angenehmen Großstadtlärm empfand wurde mit jeder weiteren Nacht einfach nur mehr zu Krach. Und dass die Katzen und Vögel das Dach neben unserem Schlafzimmerfenster als Ballraum, Boxring, Bordel und grundsätzlich guten Platz zum Abhängen nutzten, machte es nicht besser.

Buntes Graffiti in Tel Aviv-Jaffa
Eines der farbenreichen und nicht ganz unpolitischen Graffities im Stadtteil Florentine.

Die Stadt erfüllt, kurz gesagt, alle Ansprüche die man an eine moderne und überlastete Großstadt stellen kann. Darüber hinaus steckt hinter jeder Ecke ein neues Erlebnis. Wir hatten uns ein AirBnB im Stadtteil Florentine gesucht. Hip und trendig wurde der Stadtteil angekündigt mit viel Graffiti-Kunst und sehenswerten Ecken. Tatsächlich kann man die Wandkunst durchaus hervorheben, sie ist farbenfroh und vielschichtig. Am Freitag (was dem deutschen Samstag entspricht) hatten wir fast Mühe, noch einzukaufen, weil die Läden in dem um die Ecke gelegenen Levinsky Market nach unserem „Frühstück“ schon fast schlossen. Aber wir haben mit Händen und Füßen noch etwas Linsen in grün und in quitschgrün erstanden, sowie etwas Reis. Das sich die quitschgrünen Linsen hinterher als halbierte Erbsen und der Reis als Weizen herausstellte, hat uns nicht daran gehindert, ein leckeres Essen daraus zu kochen.

Denkmal für die Jaffa-Orange
Das Denkmal für die Jaffa-Orange in der Altstadt von Tel-Aviv-Jaffa.

Wir haben auch zwei Nachmittag in der Altstadt („Jaffa“) verbracht, aus der auch die namensgebende Orange stammt und haben die alten Gemäuer bestaunt, den Blick über den modernen Teil Israels und den kleinen Hafen. Von unserer Unterkunft war es etwa 20 Minuten entfernt und bot ein schönen Kontrast zum modernen und hektischen Teil. Es war schön in den schmalen aber hohen Gassen der Altstadt zu schlendern oder auf der „Wunschbrücke“ aufs Meer zu schauen. Mein Highlight war ein Galeriebesitzer und Maler, der in seiner eigenen Galerie in einem winzigen Gässchen saß und zur Musik aus dem Laptop mit der Trompete improvisiert hat – man muss halt wissen wie man auf sich aufmerksam macht. Und in dem Fall war es sogar richtig gut – musikalisch wie künstlerisch.

Fischer in der untergehenden Sonne
Trotz aller Moderne finden sich auch in Tel Aviv-Jaffa noch Fischer am Strand, die in der Abenddämmerung ihr Glück und Können versuchen. Im Hintergrund der alte Stadtteil Jaffa.

Von unserem Appartement war es zum Strand nur ein kurzer Weg. In unserem Fall war der Weg bei Regen aber gefühlt doppelt so weit wie sonst. Das aber nicht nur wir ein Problem mit dem Regen hatten, wurde an dem Wochenende bei sintflutartigen Regenfällen klar. Die Stadt wurde förmlich weggespült. Wir hatten dabei „nur“ das Problem, dass uns Wasser durch das Fenster reinlief. Als die Gefahr mithilfe eines Hausmeisters gebannt war, haben wir uns auf den Weg zum Strand gemacht und haben unterwegs dann das volle Ausmaß des Unwetters erahnen können: vollgelaufene Geschäfte, abgesoffene Baustellen und aus den Medien haben wir dann erfahren, dass es sogar Opfer gab.

Folgen der Überflutung in Tel Aviv: Dreckreste und überflutete Straßen
Nach den schweren Unwettern waren mehrere Straßenzüge völlig überschwemmt und auch die angrenzenden Geschäfte waren vollgelaufen.

Und wir haben sehr lecker gegessen. Meist vom Markt direkt in den Topf oder von einem der zahlreichen Straßenständen. Am letzten Abend sind wir sogar in ein total hippes Restaurant gegangen, dass nur vegane Sachen aus der Region anbietet und bei dem die Gerichte sehr aufeinander abgestimmt sind. Und ich muss gestehen, dass ich das Essen auch enorm lecker fand. Es gab Süßkartoffeln an einem Kokosnuss-Gewürz-Couscous, pikante Gemüse-Tacos und vorweg Brot mit gegrillten Tomaten und Dip. Auch das „Barfood“ in einer der zwei Brauereien, die wir besucht haben war gut. Umgehauen hat mich auch das Sabich eines völlig unscheinbar wirkenden Strassenstandes nordöstlich des Carmel-Markets. In wunderbar grummeliger Weise wurde ein günstiges Sabich mit allerlei Köstlichkeiten zubereitet. Oder das leckere Hummus von „Hummus Beit Lehem“.

Hummus mit allem
Im „Hummus Beit Lehem“ gab es ein sehr gutes Hummus, dem es an nichts fehlte. Der Wirt war ein junger, dynamischer Mann und sein Laden, wäre er bei „Lonely Planet“ nicht so gelobt worden, sonst bei mir in der Kategorie „abgeranzt“ gelandet. Aber es stellte sich raus, das solche Läden teilweise echt gut sind.

Am Dienstag sind wir dann zu unserer ersten Farm aufgebrochen.