Ein Intermezzo mit Ziegen

Nachdem wir tolle vier Wochen bei der ersten Farm in der Nähe Tel Avivs verbracht hatten, wurde es Zeit sich um eine neue Farm zu kümmern. Um möglichst viel vom Land sehen zu können, hatten wir uns bereits im Vorfeld unserer Auszeit dazu entschieden, in regelmäßigen Abständen die Farmen zu wechseln und mit jedem Wechsel eine andere Region kennen zu lernen. Israel ist geographisch und klimatisch gesehen äußerst vielfältig, gibt es doch die Negev Wüste mit trockenen, heißen Sommern und wenig Vegetation im Süden mit Grenzlinien nach Jordanien und Ägypten, aber eben auch eine gemäßigte Zone mit üppig grüner Vegetation von Tel Aviv bis zur Grenze zum Libanon im Norden. An der Grenze zum Libanon gibt es sogar ein Skigebiet am Berg Hermon, auf dem auch zur Zeit Schnee liegt – wenn auch nicht ausreichend, um Wintersport zu treiben.

In der Nähe von Tiberias, in Galiläa, so entschieden wir, sollte also die nächste Farm liegen. Galiläa dürfte jedem, der im Religionsunterricht ein wenig aufgepasst hat, ein Begriff sein: der Geburtsort Nazareth sowie der primäre Wirkungskreis Jesu, um mit Kana, dem See Genezareth und Tiberias nur wenige Beispiele zu nennen, liegt in Galiläa. Einen Exkurs zu biblisch-historischen Orten werden wir vielleicht in einem anderen Beitrag vornehmen.

Nun schrieben wir also eine Farm an, die in allererster Linie Ziegen hält und aus deren Milch Käse herstellt. „Was für eine interessante Farm!“, dachten wir und hofften darauf, viel über die Tiere, deren Haltung und vielleicht sogar über die Käseherstellung lernen zu können, und dies darüber hinaus in der grünen Hügellandschaft Galiläas. Auf unsere eine halbe DIN A4-Seite umfassende Anfrage, in der wir ein bisschen was über uns erzählten, kam die ausführliche Antwort „You can come“. Übliche Antworten anderer Farmen waren eher „You sound great, we would love to have you here“ oder „It’d be great to have you guys here to help us out“. Die darauf folgende Kommunikation kündigte sich somit als Vorbote dessen an, was uns dort noch erwarten sollte.

Die Hinfahrt gestaltete sich mehr als abenteuerlich: nachdem wir in der Behörde, die uns unser Volunteer-Visum ausgestellt hat, satte zwei Stunden statt der angedachten zehn Minuten verbracht hatten, kam der Bus nicht, den wir eigentlich nehmen wollten. Die dann gefundene Alternative blieb nach zwei Haltestellen mit einem Motorschaden liegen. Als wir gerade im Begriff waren, per App eine Alternative C zu ermitteln, sahen wir zufällig den ursprünglich gewählten Bus und konnten ihn heranwinken, um einzusteigen. Kaum auf der Autobahn gerieten wir in einen Stau, der seinesgleichen suchte: ganze zwei Stunden benötigten wir für etwa 5 km.

Blick über die Farm in Richtung von Kana und Nazareth, Galiläa

So gegen 16:00 Uhr stellten wir fest, dass wir es bis 18:00 Uhr, dem zeitlichen Limit unserer neuen Gastgeber, nur mehr knapp bis zu deren Farm schaffen würden. Final besiegelte jedoch der Busfahrer unser Schicksal an diesem Tag, denn er hielt recht unverhofft an und verkündete, dass er eine 12 Stunden Schicht hinter sich habe und wir nun auf einen neuen Busfahrer warten müssten. Kurzerhand entschieden wir umzuplanen und die Nacht in Haifa zu verbringen. Nach drei weiteren Bussen strandeten wir in einem gemütlichen Hostel mit gesprächigem Inhaber, das erst kürzlich eröffnet hatte: das Backpackers Nest Hostel. Hier konnten wir dann noch einmal Luft holen und genossen bei Pizza, Chips und Bier den unverhofften Abend.

In den nächsten Tagen sollte sich der Spruch bewahrheiten, dass wir auf das Schicksal hätten hören sollen, als es mit allen Mitteln versuchte uns davor zu bewahren, auf dieser Farm anzukommen…

rustikales Ambiente bestimmte die Farm – bei warmen Temperaturen wäre das bestimmt auch kein Problem gewesen

Der erste, optische Eindruck der Ziegenfarm war eindrucksvoll. Wir wussten, dass die Farm von den Eigentümern in jahrelanger Eigenarbeit erbaut worden war. Es gab mehrere kleine, gemauerte Gebäude, einen etwa 100 m langen Stall, der in mehrere kleine Sektionen unterteilt war sowie daran angehängt die Melkstation. Viele Türen, Gatter und Säulen sind mit ausgesuchten Mustern handbemalt worden, teilweise auch von Freiwilligen, wie wir von der Beschreibung der Farm auf der WWOOF-Webseite gelesen hatten. Sowieso hatten wir die meisten Informationen über unsere Gastgeber und ihre Arbeit von einem kurzen Beschreibungstext bei WWOOF – von ihnen selbst bekamen wir nur spärlich Informationen. Konversation beschränkte sich beim Frühstück oder Abendessen zumeist auf Aufgaben, die wir zu erledigen hatten. Nach dem ersten Tag dann auch darauf, was wir anders hätten machen sollen, weil…

Tägliches Säubern der Melkstation

Grundsätzlich ist damit auch schon alles zur Kommunikation unserer Gastgeber mit uns gesagt. Denn leider beschränkte es sich in den nächsten Tagen darauf, zugerufene kurze Arbeitsanweisungen zu befolgen und sich in der Regel danach erklären zu lassen, was wir falsch gemacht hätten. Dabei waren wir als Wissenschaftler natürlich wissenshungrig und wollten gerne mehr über die Farm, das Land, die Tiere und die Hintergründe unserer Tätigkeiten wissen. Die häufigste Antwort war dann aber leider zumeist etwas im Sinne des „You will learn“ oder „slowly, slowly“. Dabei waren die Fragen teilweise auch durchaus wichtig für unsere Arbeit und, so krass das klingen mag, entscheidend über Leben und Tod. Nicht von Menschen zwar, so doch aber von den frisch geborenen Ziegen und Schafen. Was wir uns aus den Informationen und den Beobachtungen mit der Zeit zusammenreimen konnten, war, dass zu früh geborene Tiere Schwierigkeiten mit dem selbstständigen Trinken haben, ebenso wie, dass sehr junge Ziegenmütter nicht wissen, dass sie ihren Babies das Trinken beibringen müssen. Was macht man also, wenn eine Ziege gebiert, wie geht man mit dem Neugeborenen um, wenn die Mutter es nicht trinken lässt, was geschieht mit Totgeburten, was, wenn zugefüttert werden muss, aber die Zicklein nicht trinken, was dann? „Slowly, slowly you will learn“. Nun, aber die Zicklein im Zweifel nicht mehr, weil es dann zu spät ist.

Der Versuch, ein Zicklein aus der Säuglingsstation zu seinem Glück zu zwingen und es zu füttern, musste in den meisten Fällen abgebrochen werden, weil wir nicht wussten, was wir noch probieren sollten

Sicherlich kann man bei 200 Tieren nicht zu jedem eine enge Beziehung aufbauen, für uns aber schien es unmenschlich, die Tiere einfach sterben zu lassen. Noch dazu, weil wir uns verantwortlich fühlten, da die Aufgabe des Fütterns an uns herangetragen worden war. Aber was, wenn wir die Tiere aufgrund von fehlenden Angaben nicht füttern können? Mehrmaliges Nachfragen blieb unbeantwortet. Für uns eine frustrierende und undankbare Arbeit, die uns nach einer Weile nur noch wütend werden ließ. Nichts konnten wir tun und so fühlten wir uns bei jedem Zicklein, das starb, ohnmächtig hilflos. Wohlgemerkt, am letzten Tag unserer kurzen Zeit auf der Farm wurde uns schließlich gezeigt, dass die Zicklein die Flasche in den Hals geschoben kriegen, um sich kontinuierlich an der Milch zu verschlucken, die ihnen aufgezwungen wird – Milch getrunken haben sie dadurch auch nicht wirklich. Was hingegen effektiver war, war die Mutterziegen dazu zu zwingen, ihre Babies trinken zu lassen, indem man sie an den Hörnern festhält und einen kräftigen Klaps auf die Flanke gibt, wenn sie Anstalten machen, die Kleinen wegzudrängen. Fazit: bei Tierhaltung darf man nicht zimperlich sein und Arbeit beginnt mit Tierfütterung früh morgens und endet mit Tierfütterung spät abends. Neun bis zehn Stunden Arbeiten waren für uns bei dieser Farm an der Tagesordnung.

Gesunde und muntere Zicklein

Und etwas anderes rückte parallel dazu in unsere Wahrnehmung, was uns dann auch eine Weile und leider nicht nur auf dieser Farm begleiten würde: „klassisches“ Rollendenken, ganz im Sinne der 1950’er Jahre. Fragen wurden in der Regel und hauptsächlich in Krischans Richtung beantwortet, egal, wer sie gestellt hatte. Franzi wurde bei körperlicher Arbeit immer außen vor gelassen, auch wenn sie sie durchaus hätte bewerkstelligen können. Hier gilt noch, dass der Mann die körperliche Arbeit erledigt und die Frau dafür zu sorgen hat, dass Haus und Hof in Ordnung sind und das Herdfeuer stets geschürt und genutzt wird. Na herzlichen Dank…

Die Hundewelpen waren ein echter Lichtblick, da sie gut genährt und immer verspielt waren

Neben dieser emotionalen Kälte führte auch die tatsächlich einsetzende physische Kälte, nachts lagen die Temperaturen um den Gefrierpunkt, zu einem sehr unangenehmen Klima, dass abend- und nächtliches Frieren normal werden ließ und Körper und Gedanken einfror. Da wir in dem uns zugewiesenen Zimmer wie auch in großen Bereichen der Farm kein fließendes warmes Wasser hatten, sprang nach einiger Zeit die Haut an den Händen auf und die stets kalten Füße wurden ein ewiger Begleiter. Nun würde man vermuten, dass man all das ja nach einer warmen Dusche am Ende des Tages hätte vergessen können. Allerdings war die Dusche am anderen Ende der Ställe und in einem sehr schlechten Zustand. Sie habe warmes Wasser, wurde uns versichert. Allerdings konnte man an der Armatur vorbei in die Landschaft gucken und beheizt war der Raum nicht. Ausprobiert haben wir sie somit nicht (hmmm… Ziegendung, ranzige Milch und Geburtsschnodder…). Zu weit der Weg, zu ungeschützt die Dusche, viel zu kalt die Umgebung und zu dreckig die gemauerte Duschkabine. Auch der im Zimmer stehende Ofen stellte sich nur bedingt als Hilfe heraus. Zwar konnte er in überschaubarem Maße Wärme spenden, doch ging das einher mit einer enormen Rauchentwicklung, die sich trotz (oder vielleicht wegen) des selbstgebauten Abzugs im Zimmer verteilte und schnell die Augen tränen ließ. Wirklich gewärmt wurde man nur, wenn man direkt vor dem Ofen saß. Wo wir wieder bei der eigenen Heizung wären… „Krischaaaaaan?“ 😀

Trotz der schönen Aussicht war die Toilette doch auch stets sehr zugig. Und wirklich hygienisch…?

Nach ein paar Tagen kam dann noch Unterstützung in Form eines jungen Amerikaners, der auch auf der Farm arbeiten wollte. Zu diesem Zeitpunkt stand aber für uns auch schon fest, dass wir die Farm nach einer Woche verlassen wollten. Unseren Gastgebern gaben wir zwei Tage Vorwarnung. Nicht weiter überraschend war es dann, dass unsere Gastgeberin nach unserer Ankündigung die Schuld in der schwierigen und fehlerhaften Kommunikation bei uns sah und nicht bei ihrem Mann, dessen Humor wir nur nicht verstünden und und und… Er für seinen Teil machte später Witze darüber, dass wir nicht bei dem „bösen, bösen alten Mann“ bleiben wollten. Konstruktiver Umgang mit Kritik geht definitiv anders.

Die offene Küche der Farm, mit Katzen die Superkräfte besitzen, denn sie können Küchenschränke und Dosen öffnen (kein Scherz)
Der Hexenkessel durfte nicht fehlen im Haus der… oh warte, das ist die Spüle
Salat, Reis und Aubergine mit ein wenig Ziegenkäse gab es jeden Tag

Zuguterletzt hatte das Ganze auch noch ein sehr unschönes Nachspiel, da Franzis Hände durch die ständige Kälte und das Hantieren mit kaltem Wasser derart in Mitleidenschaft gezogen worden waren, dass wir in Nazareth ins Krankenhaus gegangen sind. Es waren starke Hautschwellungen an einigen Gelenken und Fingergliedern aufgetreten, die es bald nahezu unmöglich machten die Finger zu beugen. Am ersten Abend, an dem die Hände wieder warm werden konnten, nämlich im Hostel in Nazareth, wurden die Hautschwellungen fast unerträglich. Waren es Frostbeulen? Eine allergische Reaktion? Oder sogar eine bakterielle Infektion?

„These hands have seen some work“ – Kommentar unserer neuen Gastgeberin der dritten Farm am Tag unserer Ankunft

Im Krankenhaus haben sich etwa fünf verschiedene Ärzte die Hände angesehen und unterschiedliche Theorien dazu entwickelt, was es sein könnte. Ein Blutbild gab keine weiteren Erkenntnisse. Entsprechend breit wurde dann mit Schmerzmittel, Antihistaminikum und Steroiden behandelt – die verschriebenen Antibiotika hat Franzi sich vorerst nicht in der Apotheke geholt und schlussendlich glücklicherweise auch nicht gebraucht. Mit einer reichhaltigen Pflege, Wärme und weniger Belastung nahmen die Schwellungen innerhalb von ein paar Tagen wieder ab. Der Nachhall der Eindrücke auf dieser Farm blieb uns jedoch um einiges länger noch erhalten.

Raubtierfütterung

Unterm Strich war es eine Lektion in vielen Dingen, die wir seit dem sehr viel genauer im Auge behalten: haben wir einen geregelten Tagesablauf? Wird von uns Arbeit über die bei WWOOF üblichen sechs Stunden hinaus erwartet? Können wir unsere Freizeit gestalten und auch die Wochenenden zum Reisen und Sightseeing nutzen? Werden wir ernst genommen, wird auf Augenhöhe kommuniziert und wird unsere Arbeit angemessen berücksichtigt? Nach einer Woche brachen wir also auf zu einer neuen Farm, die Gutes versprach. Und so viel sei vorweg genommen: die Anreise war völlig problemfrei.

Eure Franzi und euer Krischan